Text: Schalke04/Vereinsheim
Fotos: Rabas/Schalke04
Manchmal beginnen Neuanfänge zaghaft: wie bei Umut Sahin (33) und Ronny Schneider (39). Vergangenen September starten sie ein Praktikum im S04-Catering.Ein Dreivierteljahr später sagt Küchenchef Markus Dworaczek: „Es war schnell klar, dass beide hervorragend zu uns passen. Sie sind tolle Charaktere, begeistert und fleißig bei der Arbeit, dabei immer zuvorkommend und hilfsbereit – und darüber hinaus zwei sehr liebe Menschen.“ Im Klartext also: Sie sind eine glatte Eins.
Diese lobenden Worte findet Dworaczek nicht, weil seine beiden neuen Mitarbeiter ein Handicap haben, sondern weil sie ungeachtet dessen verdammt gute Arbeit leisten. „Sie sind sozusagen handverlesen“, erklärt Stefan Suer, Job-Coach des Sozialwerks St. Georg Werkstätten in Gelsenkirchen, der Sahin und Schneider auf ihrem Berufsweg unterstützt und aufgrund ihrer Qualitäten für die Arbeit auf Schalke explizit ausgewählt hat.
Die Königsblauen kooperieren schon länger mit dem sozialen Träger und haben bisher nur gute Erfahrungen gemacht (siehe Schalker Kreisel #7, Saison 2021/2022), wie Catering-Geschäftsführer Guido Kabacher gerne betont: „Mit Sven und Andre haben wir bereits zwei engagierte Mitarbeiter über St. Georg gewinnen können. Diese Tatsache bestätigt uns darin, auf dem richtigen Weg zu sein. Wir wollen Inklusion leben, dabei aber gleichzeitig unsere bestmögliche Leistung erbringen.“
Nach der Vorauswahl durch Suer beginnt die Testphase des Praktikums, beide Seiten können sich beschnuppern und prüfen, ob es passt und welcher Bereich am besten geeignet ist. Wenn alles stimmt, mündet es in einem Beschäftigungsverhältnis. „Betriebsintegrierter Arbeitsplatz“ ist der Terminus, denn die Mitarbeiter sind weiterhin über St. Georg beschäftigt. „Ziel ist es natürlich, im besten Fall eine Festanstellung beim Arbeitgeber zu erreichen, doch das muss man individuell betrachten. Manche benötigen auch die Sicherheit der Werkstatt und bleiben deshalb trotzdem bei uns“, erläutert Suer, dem man das enge Verhältnis zu seinen Schützlingen anmerkt. Sie sind ihm wichtig.
Empathie ist ein notwendiger Aspekt, damit Inklusion gelingt. Man muss nah an den Menschen sein, Feedback geben, Gespräche führen. Diese Erfahrung hat auch der S04-Küchenchef im Umgang mit seinen Mitarbeitern von St. Georg gemacht. „Sie brauchen Rückmeldung, um zu wissen, ob sie auf dem richtigen Weg sind, um Sicherheit zu bekommen und sich wohlzufühlen.“ Anfänglich waren sie in der Küche, um auszuloten, welche Bereiche am besten geeignet sind, aber auch um zu erfahren, wo sie sich selbst sehen. Mittlerweile arbeitet Sahin in der Spülküche und Schneider im Service – damit sind beide sehr zufrieden.
„Es war mein Traum, auf Schalke zu arbeiten, und ich bin glücklich, dass es geklappt hat“, bestätigt Umut Sahin. Der gebürtige Gelsenkirchener hat von klein auf eine starke Seheinschränkung durch Komplikationen bei der Geburt. Viele Operationen und eine Netzhautablösung später ist das Ergebnis ernüchternd, wie er in zurückhaltender und freundlicher Art erzählt: „Auf dem rechten Auge kann ich gar nichts sehen und auf dem linken bis zu 80 Prozent.“ Manch anderer würde verzagen, doch Sahin nicht, er hat sich durchgekämpft. Anfänglich besteht die Sorge, er könne sich in der großen VELTINS-Arena schlecht orientieren, doch der Neuzugang überrascht alle. Neben der eigenen Leistung weiß der 33-Jährige die Unterstützung des Umfelds zu schätzen. S04-Mitarbeiterin Heike Hübner hat ihn angelernt. „Wir haben uns gesucht und gefunden“, sagt er strahlend über das tolle Verhältnis zu seiner Kollegin, die ihn herzlich aufgenommen hat.
Eine Erfahrung, die auch Ronny Schneider teilt. „Wir sind hier ganz klasse empfangen worden, die Kollegen bringen mir viel Verständnis und Vertrauen entgegen.“ Der gebürtige Magdeburger, der 1988 mit seiner Familie nach Gelsenkirchen kam, arbeitet seit Jugendzeiten in der Gastronomie. Über St. Georg wird er vermittelt, weil er an der Lese- und Rechtschreibschwäche Legasthenie leidet. Doch die bremst ihn keineswegs, im Gegenteil: Der 39-Jährige ist eine wahre Allzweckwaffe, das bestätigt auch Dworaczek: „Er ist ungeheuer flexibel und engagiert.“
Schneider selbst wundert sich manchmal, wo er schon überall eingesetzt wurde. „Beim Heimspiel gegen Frankfurt war ich erst in der Steiger Bar, wurde dann nach Abpfiff im Pressekonferenzraum gebraucht und durfte mich später um eine Loge kümmern“, erzählt der 39-Jährige sichtlich begeistert. Ein Hinweis auf seine gute Arbeit, denn gerade am Spieltag muss es zack, zack gehen. Tausende Gäste sind zu bewirten, der Service hat reibungslos zu laufen. Bekommt er manchmal nicht Angst vor der eigenen Courage, wenn er ungewohnte Aufgaben übernimmt? – „Nein, gar nicht, ich lass mich einfach überraschen.“
Denn mit dem Erfolg steigt auch das Selbstvertrauen. Die Spieltage seien ohnehin das absolute Highlight, Stress und Hektik schrecken Schneider nicht, wie Suer bestätigt: „Ronny braucht die Action, er ist am liebsten da, wo was los ist.“ Umso besser, dass auf Schalke auch ansonsten einiges passiert. Messen, Feiern, Konzerte – es wird nie langweilig. „Ich decke gerne für Tagungen ein, aber wenn es an anderer Stelle etwas umzubauen gibt, helfe ich auch dort.“
Dieses Engagement schätzt der Kollegenkreis neben ihrer bemerkenswerten Sozialkompetenz, die beide an den Tag legen. „Es ist eine Win-Win-Situation, nicht nur, was die Arbeitsleistung betrifft, sondern es schärft auch die Sinne der Kollegen. So gehen sie nicht nur mit den neuen Mitarbeitern sensibler um, sondern auch insgesamt untereinander, das ist ein zusätzlicher Gewinn“, verrät Guido Kabacher seine Beobachtungen durch den Zuwachs von St. Georg. Insgesamt eine glückliche Fügung und eine Bereicherung fürs Betriebsklima, die nicht immer selbstverständlich ist, wie Schneider erzählt. Er habe viele negative Erfahrungen in der Vergangenheit machen müssen, weiß die aktuelle Situation somit noch glücklicher zu schätzen.
Die Nachricht, dass sie nun beim S04 arbeiten, stößt auch im privaten Umfeld auf positive Resonanz. Die Überraschung ist dennoch groß: „Als ich davon berichtet habe, dachten alle, ich würde Spaß machen. Dann habe ich ihnen meinen Ausweis und meine Dienstkleidung gezeigt, und sie waren völlig stolz, dass ich das geschafft habe“, berichtet Sahin. Er habe viele Freunde und Bekannte, die keine Einschränkungen haben. Sie alle hätten sich ungeheuer gefreut für ihn, ebenso sein behandelnder Arzt, den er alle drei Monate im Essener Universitätsklinikum aufsuchen muss.
Und da ist noch jemand außerhalb von Schalke, dessen Einsatz Umut Sahin und Ronny Schneider unbedingt hervorheben möchten: Arbeitsvermittler Stefan Suer. „Eins darf man nicht vergessen, ohne Stefan wären wir nicht so weit gekommen und heute wahrscheinlich nicht hier“, glaubt Schneider. Er habe sich über alle Maßen für sie eingesetzt, was nicht selbstverständlich sei. Sahin bekräftigt das: „Wir können uns auf ihn verlassen, egal was kommt. Er hat einfach ein gutes Herz.“
Empathie, soziales Miteinander, hohe Arbeitsmotivation – gelebte Inklusion hat viele Vorteile, sie fördert Talente und Werte ans Licht. Ein guter Weg, den der Kumpel- und Malocherclub gemeinsam mit den Werkstätten St. Georg beschreitet und fortsetzt. Wir werden berichten …