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22. Mai 2020

In kleinen Schritten: zurück zur Normalität

Für viele Menschen bedeuten die sukzessive erfolgten Lockerungen der Corona-Beschränkungen erhebliche Erleichterungen. Doch wie sieht es für Klientinnen und Klienten des Sozialwerks St. Georg aus? Wir haben mit Cindy N. und Tim O. aus dem Ambulant Betreuten Wohnen der Region Siegen/Oberbergischer Kreis (OBK) gesprochen sowie mit der zuständigen Fachleiterin Anja Fohmann und Holger Gierth, dem Leiter des Unternehmensbereiches Westfalen-Süd.

Cindy N. wohnt in einer eigenen Wohnung in einem Stadtteil von Siegen und wird regelmäßig von einer Mitarbeiterin des Sozialwerks St. Georg, ihrer Persönlichen Assistentin, besucht. Während vor Ausbruch der Pandemie das Erlernen von Strategien zur Alltagsbewältigung im Vordergrund standen, benötigte Cindy N. zu Beginn der Corona-Krise Unterstützung ganz anderer Art: „Plötzlich durfte ich meine Kinder nicht mehr sehen. Das war furchtbar. Dann hat die Tafel zugemacht, wo ich mich regelmäßig mit Lebensmitteln versorge. Viele Menschen, die mehr Geld haben als ich, haben Lebensmitte gehortet und ich hatte Angst, dass für mich nichts mehr übrigbleibt. Ich war auch nicht sicher, ob meine Persönliche Assistentin weiterhin kommt. Vor allem aber hatte ich Angst, mich mit Corona anzustecken und wollte gar nicht mehr aus meiner Wohnung raus gehen.“

Über ähnliche Erfahrungen berichtet Tim O., ebenfalls Klient im Ambulant Betreuten Wohnen des Sozialwerks in Siegen: „Ich verstand vieles nicht, was im Fernsehen berichtet wurde. Dann die ganzen Hamsterkäufe, die die Leute gemacht haben. Ich bin auf die Tafel angewiesen, dort bekomme ich einen Großteil meiner Lebensmittel. Sie müssen wissen, ich habe mal auf der Straße gelebt. Und habe gedacht, jetzt bekomme ich wieder nichts mehr zu essen.“

Anja Fohmann, Fachleiterin des Ambulant Betreuten Wohnen der Region Siegen /OBK, pflegte während der letzten Wochen besonders engen Kontakt zu beiden Klienten. „In Siegen und im Oberbergischen Kreis betreuen wir insgesamt 140 Klienten. Ungefähr 50 davon sind Kunden der Tafel. Viele von ihnen empfinden die Einschränkungen durch die Gefahr, dass man sich mit SARS CoV-2 anstecken kann, besonders intensiv. Wir mussten die vielen unterschiedlichen Informationen, die auf uns einstürmten, sortieren, sie für unsere Klienten „übersetzen“, häufig wiederholen und signalisieren, dass wir jederzeit ansprechbar sind.“ Man habe hierfür eigens eine Rufbereitschaft eingesetzt und zusätzliche Besuche am Wochenende.

Zudem wurde die Versorgung von Klienten, die Angehörige einer Risikogruppe sind, von Mitarbeitenden des Sozialwerks übernommen. „Die Belastung für die Kolleginnen und Kollegen war enorm, aber es war der einzige Weg, um diese Klienten mit ausreichend Lebensmitteln und anderen Dingen des täglichen Bedarfs zu versorgen.“ Die finanziellen Sorgen konnten Cindy N. und Tim O. immerhin genommen werden, denn für Kunden der Tafeln wurde aus den Mitteln der Corona-Soforthilfe der Aktion Mensch Lebensmittel gekauft.

Holger Gierth, Geschäftsführer der Unternehmensbereiche Ruhrgebiet und Westfalen-Süd des Sozialwerks: „Wir sind sehr froh, dass die Aktion Mensch den Bedarf bei Schließung der Tafeln so schnell erkannt, mit der Corona-Soforthilfe umgehend reagiert hat und wir in den Genuss dieser Förderung gekommen sind. Da die Tafeln erst langsam wieder öffnen und zum Beispiel Kunden, die den Risikogruppen zugehören, noch nicht bedienen können, springen wir hier ein. Denn unsere Klienten stehen nicht nur unter enormem wirtschaftlichem Druck; die psychische Dimension der seit Wochen andauernden Einschränkungen ist immens.“

Anja Fohmann ergänzt: „Viele unserer Klientinnen und Klienten verlassen ihre Wohnungen nach wie vor gar nicht oder nur sehr ungern. Die Angst vor einer Ansteckung ist einfach zu groß.“

Der Weg zurück in die Normalität ist daher geprägt von vielen kleinen Schritten. Tim O.: „Zur Tafel möchte ich noch nicht gehen. Ich weiß einfach nicht, ob die Leute sich dort an die Regeln halten. Aber ich gehe mit meiner Persönlichen Assistentin wieder einkaufen, von dem Fördergeld, hauptsächlich Obst und Gemüse.“ Und Cindy N. ergänzt: „Ich führe nach wie vor viele Gespräche mit meiner Persönlichen Assistentin. Das tut unheimlich gut. Und ich sehe meine Kinder bald wieder, das erste Mal seit 10 Wochen!“