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22. Juli 2025

St. Anna: Interview mit Seelsorgerin Christiane Rother

Wer in den vergangenen Monaten einen Gottesdienst in der Kirche St. Anna in Gelsenkirchen besucht hat, ist ihr vielleicht schon begegnet: Die katholische Seelsorgerin Christiane Rother gestaltete hier 2023 zum ersten Mal den Gottesdienst für die Verstorbenen und ist seitdem zu verschiedenen Gelegenheiten in der St.-Anna-Kirche aktiv. Im Gespräch erzählt sie, wie sie zu dieser Aufgabe kam, warum die Kirche St. Anna für sie ein besonderer Ort ist und wie sie Kirche heute neu denkt.

Frau Rother, vielleicht können Sie sich einmal vorstellen: Für wen arbeiten Sie und was sind Ihre Aufgaben?
Ich arbeite seit fast 30 Jahren als katholische Seelsorgerin im Bistum Essen – aktuell in verschiedenen Funktionen: 50 Prozent meiner Arbeitszeit verbringe ich im Referat Ehrenamtsförderung des Bistums. Außerdem engagiere ich mich in der Tarifkommission der nordrhein-westfälischen Bistümer. Etwas weniger als ein Drittel meiner Zeit bin ich für die Probsteipfarrei St. Augustinus in Gelsenkirchen tätig, mit einem Schwerpunkt auf das Quartier Schalke und Schalke-Nord. Hier liegt ein besonderer Fokus auf der Offenen Kirche Schalke: Vor Heimspielen des FC Schalke 04 öffnet das ehrenamtliche Team der Offenen Kirche gemeinsam mit mir die Kirche St. Joseph – ein spiritueller Ort, der zwar kein Gottesdienststandort mehr ist, aber weiterhin für viele Menschen eine Bedeutung hat. Auch die Kirche St. Anna, die im Jahr 2007 vom Sozialwerk St. Georg übernommen wurde, ist kein Gemeindestandort mehr, spielt aber für die Menschen im Quartier eine wichtige Rolle.

Wie sind Sie zum Sozialwerk und zu St. Anna gekommen?
Vor Corona war ich in einem Arbeitskreis für Schalke-Nord aktiv. Dort lernte ich die Kirche St. Anna kennen und war im Ehrenamtskreis immer mal wieder dabei. Unser Ziel war, St. Anna mithilfe der Stadt zu einer zentralen Begegnungsstätte im Quartier zu machen. Doch durch die Pandemie konnten wir das nicht so umsetzen wie geplant. Nach Corona waren die Ansprechpartner:innen bei der Stadt Gelsenkirchen nicht mehr verfügbar, sodass wir wieder ganz von vorne anfangen mussten. Damit St. Anna präsent bleibt, war es wichtig, die traditionellen Gottesdienste zu Allerheiligen und zum Patronatstag wieder aufleben zu lassen – dabei habe ich gerne mitgewirkt. Mir war von Anfang an klar, dass St. Anna mehr ist als nur ein Raum für Gottesdienste: Sie ist ein offener Ort mitten im Quartier, der kirchliches Leben mit sozialen und kulturellen Angeboten verbindet.

Welche Rolle spielt St. Anna für Ihre seelsorgliche Arbeit in Schalke-Nord?
St. Anna ist weiterhin eine geweihte katholische Kirche. Ich selbst bin als Seelsorgerin nicht an festen Standort innerhalb der Pfarrei St. Augustinus gebunden, sondern arbeite mit Schwerpunkten in Heßler, Schalke und Schalke-Nord, zu dem St. Anna gehört. Mir ist wichtig, spirituelle Angebote möglichst niedrigschwellig und offen für verschiedene Menschen zu gestalten – also für Menschen aus dem Sozialwerk, mit und ohne Assistenzbedarf, und auch für Nachbar:innen aus dem Stadtteil.

Die Christ:innen in Gelsenkirchen sind mittlerweile eine knappe Minderheit. Was bedeutet das für Ihre Arbeit?
Weniger als die Hälfte der Gelsenkirchener:innen gehört heute einer christlichen Kirche an. Das verändert das kirchliche Leben grundlegend. Früher gab es viele kleine Pfarrgemeinden mit eigenen Kirchen, heute ist das anders. Deshalb müssen wir Kirche neu denken – nicht nur in den traditionellen Gemeindehäusern, sondern dort, wo die Menschen sind: im Quartier, im Stadtteil. Für mich heißt das auch, sich einzubringen, präsent zu sein und gemeinsam etwas zu bewegen.

Was fasziniert Sie an der Kirche St. Anna, die Kirche und soziale sowie kulturelle Nutzung verbindet?
Ich finde es spannend, dass St. Anna ein offener Ort für ganz unterschiedliche Menschen ist – mit und ohne Assistenzbedarf, aus verschiedenen Altersgruppen und Lebenssituationen. Der Raum wirkt offen und einladend, zugleich aber auch voller Geschichte. Es ist kein klassischer Gemeinderaum, sondern ein lebendiger Begegnungsort mitten im Quartier, der Kirche, Kultur und soziale Arbeit zusammenbringt.

Sie möchten künftig regelmäßig spirituelle Impulse in St. Anna anbieten. Was planen Sie genau?
Wir entwickeln gerade solche Angebote. Es sollen keine klassischen Gottesdienste sein, sondern eher kurze, niedrigschwellige Impulse, die sich am Kirchenjahr orientieren – zum Beispiel zum Patronatsfest, Erntedank oder zu Christi Himmelfahrt. Besonders zu Christi Himmelfahrt finde ich die Bilder und Assoziationen spannend – etwa aus Science-Fiction oder mit Raumschiffen –, die sich gut als Gesprächsimpulse eignen.

Mir ist wichtig, dass diese Impulse einladend und dialogisch sind. Die Teilnehmenden sollen ihre eigenen spirituellen Erfahrungen und Gedanken teilen und sich gegenseitig inspirieren. Spiritualität ist für mich sehr persönlich, aber auch etwas Gemeinschaftliches – diesen Austausch möchte ich fördern.

Wie gelingt es Ihnen, Offenheit und ein klares christliches Profil zu verbinden?
Mir liegt daran, dass sich alle Menschen eingeladen fühlen - unabhängig von Herkunft oder Religion. Gleichzeitig sollen die Impulse ihre Wurzeln im christlichen Glauben behalten. Biblische Texte und christliche Traditionen sind für mich wichtige Quellen, die Orientierung und Kraft geben.

Ich versuche, die Angebote so zu gestalten, dass sie auch Menschen ansprechen, die sonst wenig Kontakt zur Kirche haben. Es soll ein offener Dialog sein, in dem die christliche Botschaft spürbar bleibt, ohne jemanden auszuschließen. So können wir gemeinsam spirituelle Erfahrungen teilen und voneinander lernen.

Wer ist eingeladen, an den Impulsen teilzunehmen?
Das Angebot ist bewusst offen und niedrigschwellig – für Klient:innen, Mitarbeitende und Nachbar:innen gleichermaßen. Auch sprachlich soll es einfach und verständlich sein. Vielfalt ist für mich zentral: Spiritualität kann bei Menschen mit ganz unterschiedlichen Hintergründen und Lebenslagen wachsen – egal ob mit oder ohne Einschränkungen, mit verschiedenen kulturellen oder religiösen Hintergründen.

Wie verstehen Sie Ihre Rolle als Seelsorgerin in diesem Umfeld?
Ich sehe mich als Begleiterin und Ansprechpartnerin, die zuhört, Impulse gibt und Menschen dort abholt, wo sie geradestehen. Dabei bringe ich meine christliche Prägung ein, möchte aber gleichzeitig möglichst offenbleiben. Wichtig ist mir, dass jede:r hier seinen Platz findet und sich willkommen fühlt.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft von St. Anna und die spirituelle Arbeit im Quartier?
Ich wünsche mir, dass St. Anna noch sichtbarer und zugänglicher wird – ein Ort, an dem Menschen sich begegnen und erleben, dass Kirche mehr ist als ein Gebäude oder ein Gottesdienst. Es geht um Gemeinschaft, Hoffnung und Sinn – gerade in einer Zeit, in der viele Orientierung finden wollen.

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