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05. März 2021

Vom Ich über das Du zum Wir

Vor ziemlich genau einem Jahr fand im Pluspunkt „Kö“ in Bad Laasphe eine Informationsveranstaltung statt. Gesucht wurden Personen mit einer psychischen Erkrankung, die Interesse daran hatten, ihre Erfahrungen mit anderen zu teilen und Menschen in ähnlichen Situationen zu beraten – so genannte Genesungsbegleiterinnen und -begleiter. „Dazu gehört sehr viel Mut – denn Voraussetzung für die Beraterinnen und Berater ist, dass sie sich intensiv mit ihrer Krankheitsgeschichte auseinandergesetzt haben,“ erzählt Nina Rath. Sie ist Mitarbeiterin im Projekt „Genesungsbegleitung im Wittgensteiner Land“ und konnte nach der Auftaktveranstaltung letzten Jahres neun Interessenten gewinnen.

Die Schulung umfasst 15 Kurstreffen. Ein zentrales Element ist die Ausbildung eines Bewusstseins für die eigene Erkrankung oder Behinderung und das Stärken der eigenen Resilienz. Die eigene Genesungsgeschichte (Recovery) und Empowerment (Selbstbestimmung) spielen eine große Rolle. Die Teilnehmenden müssen ihre Erfahrungen denen ihres Gesprächspartners oder ihrer -partnerin gegenüberstellen und anschließend herausarbeiten, was sie in der Gruppe eint. Rath: „Ich nenne mal ein Beispiel: Wir haben in unseren Gruppen Menschen mit einer Depression. Gemeinsam haben wir überlegt, was wichtig für sie ist, um dieser Krankheit zu begegnen. Für den einen war das zum Beispiel, morgens aufzustehen, einen Kaffee zu trinken, um die Mittagszeit spazieren zu gehen und nachmittags ein Buch zu lesen. Für den nächsten ist es wichtig, zur Arbeit zu gehen, dort Menschen zu begegnen. Durch diesen Austausch konnten sie feststellen, dass sie ihre Tage sehr unterschiedlich gestalten, damit sie sich gut fühlen.“ Und dann müsse der entscheidende Transfer gelingen. In diesem Fall wäre das: Um einer Depression erfolgreich begegnen zu können, ist es wichtig, eine bestimmte Tagesstruktur zu haben – auch wenn diese für jeden Einzelnen ganz unterschiedlich aussehen kann. Rath weiter: „Aus dem ‚Ich-Wissen‘ wurde über das ‚Ich-Du-Wissen‘ ein ‚Wir-Wissen‘ ausgebildet. Und dieser Schritt ist die Grundlage, um andere Menschen erfolgreich als Genesungsbegleiter oder -begleiterin beraten zu können.“

Aufgrund der Regelungen zur Eindämmung des Corona-Virus mussten die Gruppenkurse nach den ersten Treffen ausgesetzt werden. Um die Gruppen zusammenzuhalten und auch Wissen zu vermitteln, hat Nina Rath ein digitales Format entwickelt: „Auch wenn Partnerübungen und Rollenspiele per Videokonferenz nicht möglich sind, so hilft uns das doch, die Zeit zu überbrücken, bis wir wieder Präsenzschulungen anbieten können. Abseits davon halten die Gruppenmitglieder untereinander Kontakt und beraten sich gegenseitig. So lernen sie, einen Perspektivwechsel zu vollziehen.“ Zudem ist Nina Rath gerade dabei, eine dritte Gruppe von künftigen Begleiterinnen und Begleitern zusammenzustellen. Wenn die Schulungen beendet sind und die Pandemievorschriften dies erlauben, werden sie ihre Unterstützung im gemeinschaftlichen Wohnen sowie in den Pluspunkten anbieten und aktiv an Gesprächskreisen und Themencafés teilnehmen.

Das Projekt „Genesungsbegleitung“ im Kreis Wittgenstein wird von der Aktion Mensch gefördert. Weitere Projekte, in denen Betroffene ausgebildet werden, um andere zu beraten, gibt es im Hochsauerlandkreis und in Siegen/Kreuztal. Fragen zu dem Wittgensteiner Projekt beantwortet Nina Rath unter n.rath@sozialwerk-st-georg.de.